Vertical Farming: Garten auf kleinem Raum
Ernten ohne Beet – Vertical Farming
Vertical Farming: Gärtnern ohne Garten und dabei noch ganzjährig ernten – was widersprüchlich klingt, ist nur eine Frage der richtigen Ausrüstung. Mit Indoor-Gartensystemen kann der Gourmet ganzjährig frische Kräuter ernten. Selbst Stadtbewohner können damit ihr eigenes Gemüse ziehen. Diese Systeme können sogar helfen, mehr Nahrungsmittel für die Welt zu erzeugen, ohne dass man dafür mehr Äcker braucht. Die Vorteile liegen auf der Hand: Sie sind von den Kapriolen des Wetters unabhängig und können nah am Verbraucher eingerichtet werden.
„Urban Farming“ ist nicht neu
Die Idee, Gemüse direkt in der Stadt zu erzeugen, „Urban Farming“, ist nicht neu. Schon im 19. Jahrhundert wiesen Städte Freiflächen für Gärten aus. Deren Zweck war, dass die ärmere Bevölkerung dort ihre eigenen Lebensmittel anbauen und sich so selbst versorgen konnte. Eine andere Bewegung zur gleichen Zeit betonte, wie gesund diese Arbeit an der frischen Luft und die körperliche Betätigung sei. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte der Ansatz richtig auf. Denn Nahrungsmittel waren knapp und ein gut bewirtschafteter Kleingarten die beste Überlebenshilfe. Es zeigte sich, wie produktiv auch eine kleine Fläche sein kann. Die Wohnungsnot in den Städten lässt diese Freiflächen allerdings schrumpfen. Heute spielen sie auch eher eine Rolle als Erholungsraum.
Vertical Farming– Das Gewächshaus wächst in die Höhe
Gewächshäuser haben sich schon immer als besonders hilfreich erwiesen, die Saison zu verlängern. Noch produktiver wird Gartenbau, wenn das Beet nicht am Boden bleibt, sondern den dreidimensionalen Raum nutzt: „Vertical Farming“ geht in die Höhe. Im dicht besiedelten Singapur ist es beispielsweise sehr schwierig, Platz für jede Art von Landwirtschaft zu finden. Ein Betrieb dort baut deshalb Salat in Kästen auf riesigen Gestellen an, die einer großen Stehleiter ähneln. In diesem Gewächshaus reicht das Tageslicht für die Produktion, was sie besonders energieeffizient macht.
Gärtnern ohne Erde und Sonne
Die Zukunft des produktiven Gärtnerns geht noch einen Schritt weiter: Gärtnern ohne Erde und Sonnenlicht. Dabei kümmern die Pflanzen keineswegs vor sich hin. Statt gedüngter Erde erhalten sie eine speziell dosierte Nährstofflösung. Damit die Wurzeln für die notwendige Stabilität sorgen können, steht die Pflanze in Tonkügelchen. Für das richtige Licht sorgt eine LED Vollspektrum Pflanzenlampe. Diese Methode heißt „Hydroponic“.
Lösung für die zukünftige Ernährung?
Der technische Fortschritt auf diesem Gebiet inspirierte Vordenker auch zu größeren Plänen. Sie fragten sich: Was können die Menschen in Zukunft essen? Denn die Weltbevölkerung wächst. Nach der jüngsten Prognose der UN werden es bis 2050 9,7 Milliarden Menschen sein, noch 2 Milliarden mehr als heute. Dadurch werden Städte noch weiter wachsen. Die Nahrungsversorgung wird immer schwieriger. Der für die Landwirtschaft geeignete fruchtbare Boden wird nicht ausreichen. Auch deshalb nicht, weil durch den Klimawandel Gegenden dafür unbrauchbar werden. Zu den Pionieren des Vertical Farming gehört der US-amerikanische Mikrobiologie-Professor Dickson Despommier. Seine These ist, dass Städte damit 50 Prozent ihrer benötigten Lebensmittel selbst herstellen könnten. Nicht mehr benötigte Äcker könnten dann der Natur überlassen werden und sich regenerieren.
Vorteile und Nachteile
Es gibt inzwischen bereits unterschiedliche Systeme auf dem Markt, mit deren Hilfe Kulturen auch in größerem Stil „nach oben“ angebaut werden können. Sie brauchen dann wenig Grundfläche und sind von den Außenbedingungen komplett unabhängig. Dürre, Hagel und andere Extremwetterereignisse, sonst ein riesiges Problem der Landwirtschaft, sind dann ebenso egal wie Jahreszeiten.
Obst und Gemüse wachsen inzwischen schon in Lagerhallen, Bunkerröhren und ausrangierten Schiffscontainern. Diese Anlagen können dort stehen, wo auch die Verbraucher leben. Damit fällt der Transport weg, der bekanntlich Treibstoff verbraucht und Abgase erzeugt. Das ist gut für die Umwelt und für das Klima. Außerdem kommen weniger Produkte beim Transport oder bei der Lagerung zu Schaden. Lampen und die Bewässerungs- und Überwachungstechnologie brauchen natürlich auch Energie. Es gibt Projekte, bei denen Solarzellen für Strom sorgen. Das reicht aber meist nicht.
Vertical Farming – Vorreiter Japan
Die ersten Städte mit einer „Vertical Farm“ waren Seoul, Kyoto, Den Bosch und Manchester. Vorreiter in dieser Art von Landwirtschaft ist heute Japan: Nach dem Reaktorunfall in Fukushima war dies eine gute Methode, unverseuchtes frisches Gemüse zu produzieren. Inzwischen gibt es dort mehr als 200 kommerzielle Indoor-Gewächshäuser. Doch auch in anderen Ländern entdecken immer mehr die Vorteile dieses Anbaus.
Zuviel Utopie? Der Deltapark Rotterdam
Die XXL-Version des vertikalen Anbaus sollte der Deltapark in Rotterdam werden. So sah der Plan aus: Gemüse- und Tierzucht sollten in einem aufeinander abgestimmten System auf sechs Stockwerken untergebracht werden. Das Gebäude wäre einen Kilometer lang und 400 Meter breit gewesen. Auch eine Schlachterei und eine Verpackungsfirma waren vorgesehen. Aus dem Kot der Tiere sollte Biogas werden. Außerdem wollte man damit die Pflanzen düngen. Dahinter stand die Idee, Lebensmittel für eine große Zahl von Menschen auf vergleichsweise kleinem Raum herzustellen. Das Ganze sollte dabei in der Nähe der Verbraucher und unter optimierten Bedingungen geschehen.
Der Deltapark Rotterdam wäre ein Modell gewesen für eine zukünftige Welt, in der Städte sich noch weiter ausgebreitet haben und noch mehr Menschen zu ernähren sind. Dieses Projekt wurde letztlich nicht umgesetzt: Zu riesig und fremdartig erschien den Niederländern die Idee ihres damaligen Landwirtschaftsministers.
Das Problem großer Systeme
Ein Argument gegen den Deltapark Rotterdam war die Massentierhaltung. Die gibt es allerdings auch in der traditionellen Landwirtschaft. Die Erfahrungen dort zeigen, mit welchen Risiken man bei so einer Anlage rechnen muss. Ein von der Umwelt abgeschottetes System ist zwar in einem gewissen Maße geschützt vor Krankheiten oder Schädlingen. Finden diese erst einmal den Weg hinein, ist der Schaden dann aber schnell groß und schwer zu begrenzen.
Tomaten und Fische
Deutlich bescheidener als der Deltapark, aber dafür schon praktisch umgesetzt, ist die Kombination von Fischzucht mit Tomatenanbau. Die erprobt gerade das Leibnizinstitut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Der Zuchtfisch ist der Nil-Tilapia aus der Familie der Buntbarsche. Dieser Fisch ist sehr fortpflanzungsfreudig und liebt warme Temperaturen, genau wie die Tomate. Fisch und Tomate befinden sich deshalb im selben Gewächshaus, und die Ausscheidungen des Fisches düngen die Pflanzen.
Vertical Farming: Chance für Selbstversorger
Ein privater Verbraucher kann sich mit vertikalem Anbau selbst versorgen, ohne Hoferbe sein zu müssen. Damit macht er sich unabhängig von der heutigen Lebensmittelindustrie, die Waren über weite Wege transportieren lässt. Der Käufer hat auch keinen Einfluss auf die Herstellung. Selbstversorgung durch „Indoor growing“ liefert unabhängig von der Saison relativ unproblematisch frisches Obst, Gemüse und Kräuter, alles garantiert ohne Chemie. Die Qualität kann der Selbstversorger dabei stets kontrollieren, der Arbeitsaufwand hält sich in Grenzen. Der Garten im Haus würde selbst bei einer Krise zuverlässig liefern.
Manche schreckten bisher davor zurück, weil sie glauben, dass sie keinen „grünen Daumen“ haben. Ihnen hilft vielleicht die neue Technik. Mit der Hydrokultur lassen sich am einfachsten Salat, Kräuter oder Tomaten ziehen, aber auch andere Gemüse wie Bohnen oder Gurken. Sogar Erdbeeren wachsen ohne echte Erde auf Tongranulat. Getreide lässt sich auf diese Weise nicht anbauen – dafür werden weiter Äcker benötigt.
Buch Tipp
Wer Tipps zur Selbstversorgung sucht, dem seien folgende Bücher empfohlen: „Mini-Farming“* von Brett L. Markham, „Das große Buch der Selbstversorgung“* von Dick und James Strawbridge* sowie, leider nur auf Englisch erhältlich, „Plant Factory. An Indoor Vertical Farming System for Efficient Quality Food Production“* von Toyoki Kozai, Genhua Niu und Michiko Takagaki.
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Zuletzt aktualisiert am 29. Juli 2021 um 23:44 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.